Auto – Händel

In Memmingen gab und gibt es große Diskussion über die Verkehrsführung in der Innenstadt von Seiten der Bürger*innen und vor allem von Seiten des Einzelhandels und der Gastronomie. Dabei geht es immer wieder und immer noch um die Sperrung des Weinmarktes und die Drehung der Einbahnstraßen Lindauerstr. und Klösterle.

Ab Freitag 07.03.2025 ist der Weinmarkt gesperrt – dann werden wir sehen, wie sich das alles entwickelt und wie lange die Memminger und Memmingerinnen brauchen, sich umzustellen.

51 Einzelhändler und Gastronomen haben sich zusammengetan und einen Brief an die Stadträt*innen geschickt. Der Brief war in Stil und Inhalt mehr als befremdlich: Hier die angesprochenen Punkte aus dem Schreiben:

HIER der Original Brief als PDF

Unsere Fraktion forderten die Liste der Mitglieder dieser Gruppe an, um mit dieser Gruppe und den einzelnen Betrieben in Kontakt treten zu können. In der letzten Stadtratssitzung erneuerten wir unsere Forderung. Da gab es dann eine seltsame Diskussion: Herr Tröger wollte wissen, warum wir die Liste überhaupt wollen. Und Herr Rorbecks merkte an, dass einzelne nicht auf der Liste erwähnt werden wollen, weil sie Nachteile auch von Seiten der Kunden und auch von Seiten der Stadtverwaltung bei Anträgen befürchten. Im Endeffekt wurde uns dann mitgeteilt, dass die Unterzeichner die Liste nicht öffentlich machen wollen und wir sie damit nicht bekommen.

Seltsam: da stellt die Gruppe heftige Forderungen an den Stadtrat, bringt diese Forderung auch in die Öffentlichkeit und will sich dann nicht dazu bekennen und will nicht in eine Diskussion mit uns eintreten, bzw. nur über die Sprecherin. Sie befürchten – vielleicht zu Recht? – eine Reaktion der Kund*innen, wenn dies öffentlich wird.

Wir werden trotzdem versuchen, mit der Gruppe, bzw. der Sprecherin in Kontakt zu kommen um mehr Hintergründe zu erfahren und vielleicht gemeinsame Lösungen zu finden.

Viele Kommentare sind: dann fahre ich nach Ulm oder Kempten, da kann ich viel besser einkaufen, da gibt es alles in der Stadt. Schön wäre es, wenn es so wäre.

Die Wege in Ulm von den Parkhäuseren in die Stadt sind wesentlich weiter als in Memmingen – das liegt an der Größe von Ulm aber auch an der Anzahl der Parkhäuser in direkter Altstadtnähe.

Das Sortiment wird in ALLEN Städten immer ähnlicher. Was es im Internet zu bestellen gibt verschwindet aus den Städten. Auch in Ulm oder Kempten nehmen die Optiker usw. zu, alles andere wird weniger.

Memmingen hat tatsächlich den Vorteil, dass es in unmittelbarer Nähe in und um die Altstadt viele Parkhäuser hat, es sind nirgends mehr als 500 Meter in die Mitte der Stadt. wir bekommen eher die Rückmeldung, dass viele nach Memmingen kommen, eben weil es die Parkhäuser gibt und weil die Altstadt mit den Cafes wirklich schön und gemütlich ist. Auch viele Freunde gerade aus Kempten kommen nach Memmingen.

Warum so viele Menschen (Autofahrer!) dermassen unzufrieden sind, erschliesst sich uns gerade in Memmingen nicht. Jede Änderung und Umstellung braucht Zeit. Aber viel wissen schon lange vorher, dass es nicht funktioniert und bekämpfen daher jede Änderung.

Wir wundern uns höchstens, dass da wo Auto hinfahren und parken können, z.B. Kempter Straße , so wenig Geschäfte sind. Und wir wundern uns, warum Gastronomen mitmachen, die doch viel großzügiger Freiflächen bestuhlen können.

In einem Artikel der SZ vom 31.01.2025 wurde unter dem Titel „Das Geschäftsmodell Innenstadt ist längst am Ende“ sehr gut die aktuelle Situation und eine Zukunft skizziert. Der Artikel beschreibt die Situation in größeren Städten, betrifft aber die Situation in mittleren und kleinen Städten genauso. Hier eine Zusammenfassung.

Die aktuelle Situation

  • Die Zentren funktionieren nicht mehr, sie verkümmern. Selbst in besten Lagen stehen immer mehr Geschäfte und ganze Kaufhäuser leer (z.B. in München im Zentrum – auf ein paar hundert Meteren stehen drei riesige Kaufhäuser leer)
  • Es sind immer mehr Ketten, H&M, C&A, Douglas….
  • Die Monokultur rächt sich. Wo früher Wohnen, Einkaufen, Arbeiten und Vergnügen dicht beieinander existierten, ist die Vielfalt verschwunden
  • Alles ist ausgelegt auf nur noch eins: Konsum, das war die Leitkultur für die Entwicklung der Zentren
  • Neben der Kaufhaus- gibt es auch eine Immobilienkrise. Seit Jahren fallen die Preise für Einzelhandelsimmobilien, sie liegen heute ein Viertel unter dem Werten von 2017
  • Für zwei Drittel der über 50-jährigen ist der Einkaufsbummel ein Grund in die Stadt zu fahren, für die 25-jährigen taugt der Einkaufsbummel noch für weniger als die Hälfte, Tendenz sinkend
  • Wenn die Jungen weniger kommen, kommt bald niemand mehr, 15% des gesamten Umsatzes im Einzelhandel entfallen auf Einkäufe im Netz, Tendenz stark steigend
  • Setzt der Verfall erst mal ein, ist er schwer zu stoppen

Vergangenheit

  • Städte haben sich in der Vergangenheit immer geändert
  • In den Sechzigerjahren rauschte der Verkehr durch die Fußgängerzonen von heute
  • 1972 wurde in München eine der ersten Fußgängerzonen eingeführt, damals eine Revolution
  • „Menschlichkeit und Urbanität“, so OB Vogel damals kehren in das Herz der Stadt zurück
  • Die Menschen nahmen damals bis heute das Angebot gerne an, es waren in den Städten die besten Lagen

Zukunft

  • Heute wäre ein anderes Angebot nötig, so die Wissenschaftler: Belebte Erdgeschosse, die offen fürs Kommen und Bleiben sind, mehr Vielfalt, Räume für Kunst und Kultur, Bildung und soziale Interaktion. Konsumfreie Plätze, in denen es nicht immer um den Verbraucher geht
  • dafür sind die viele Innenstädte schlecht geeignet, vor allem diejenigen, die nach dem Krieg nur uniform aufgebaut wurden. Im Krieg nicht zerstörte Städte tun sich leichter – wie z.B. auch Memmmingen
  • Wer den „Verfall“ verhindern will, muss rechtzeitig eingreifen, später wird es immer schwerer
  • Das funktioniert laut der Wissenschaftler: so wie die Fußgängerzonen der Stadt ein neues Gesicht gaben, ist es jetzt auch möglich
  • Politische Aufgabe ist es, Abschied zu nehmen von alten Mustern
  • Die Trennung von Wohn- und Geschäftsvierteln ist in vielerlei Hinsicht schädlich: in der Nacht veröden die Innenstädte und der Verkehr nimmt unnötig zu
  • Es werden unbeliebte Entscheidungen nötig sein: striktere Vorgaben für Neubauten und neue Regeln für den Verkehr
  • Vor allem die Erdgeschosse entscheiden darüber, wie die Stadt wahrgenommen wird
  • Die Haltung, es muss sich etwas ändern, aber nicht bei mir
  • Beispiele: Kaufhäuser in Gelsenkirchen, Leipzig oder Rendsburg haben den alten Kaufhäusern neues Leben eingehaucht – Pflegeheim, Geschäftshaus mit vielen kleinen Läden und VHA und Räume für Künstler

Memmingen

  • Städte, die nicht vom Krieg zerstört wurden haben große Vorteile: größere Straßen, kleine Gassen, Plätze dazwischen, Kneippen, Trubel und ruhige Ecken
  • Warum schlendern die Leute durch z.B. Siena und weniger durch z.B. Reutlingen (ohne Reutlingen zu nahe treten zu wollen)? Warum geniessen wir die italienischen Städte so sehr. Es gibt viel weniger Autos und viel Abwechslung. Kleine Gassen, schöne Plätze, gemütliche Parks, schöne Gebäude, Museen und schöne Cafes.

  • Stadt, Unternehmer und Investoren müssen die Innenstadt dann mit Leben füllen. Die Stadt sollte mit ihren Mitteln steuern, dass etwas vielfältiges entsteht.
  • So war es in Memmingen ein Glücksfall, dass der Investor im Rosenviertel verhindert wurde. Hier könnte etwas neues, urbanes, lebendiges entstehen, das die oben diskutierten Kriterien erfüllt

Memmingen hat die besten Voraussetzungen sich in diese Richtung zu entwickeln. Nutzen wir die Chance und gestalten wir die Stadt behutsam um. Gemeinsam mit den Gewerbetreibenden, mit Mut und Ausdauer.

Der Einzelhandel hat es schwer. Er wird in der jetzigen Form auch nicht überleben, vor allem der inhabergeführte Einzelhandel. Der Umsatzrückgang betrug 2024 bundesweit 17%, da ist auch Memmingen betroffen. Das hat viele Gründe – ich habe sie schon öfters aufgeführt:

  • ein Politik des Einkaufens auf der Grünen Wiese. Überalls entstanden riesige Einkaufszentren autogerecht und mit riesiger Auswahl (obwohl der Weg vom Parkplatz zum Laden oft länger ist als in der Stadt vom Parkhaus zum Laden)
  • es wurde der Internethandel (Beispiel Amazon) in einem unvorstellbaren Ausmass ausgebaut, beworben und angenommen. Und vom Sofa aus alles zu bestellen und kostenlos wieder zurückzuschicken ist einfach bequem – Tendenz stark steigend.
  • Es gibt immer mehr Ketten, die Läden betreiben schnell aufmachen und wenn der Umsatz nicht passt, schnell wieder schliessen.
  • Es gibt immer weniger Menschen, die bereit sind, einen Laden 6 Tage die Woche zu führen, permanent mit dem Risiko zu wenig zu verdienen. Da bleibt oft wenig Freizeit und ein gesicherter Job in der Industrie hat viele Vorteile.
  • Aus denselben Grund gibt es immer weniger Menschen, die bereit sind in Läden zu arbeiten, 6-Tage die Woche, auch Samstag. Der Verdienst ist jetzt nicht so groß im Gegensatz zu den Nachteilen mit den Arbeitszeiten. Auch hier sind Jobs in der Industrie die Alternative.
  • Der Einzelhandel hat die Digitalisierung verschlafen, dabei auch viel zu wenig Unterstützung von Kommune und Industrie- und Handelskammer erhalten.
  • Die Mieten in guten Lagen sind sind oft viel zu hoch und von vielen Händlern nicht zu stemmen.
  • Es werden bleiben und daher immer mehr, was nicht im Internet zu bestellen ist: Friseure, Brillenläden, Nagelstudios, Geschenkeläden, dann Bäcker, Lebensmittel,

Wir werden nicht mehr einen Zustand von vor 20/30 Jahren erreichen. Wir müssen überlegen wie wir die Innenstädte beleben und umgestalten und nicht immer vergangenen Zeiten nachtrauern.

Pfaffenhofen setzt auf Handwerker: Für Pfaffenhofens Wirtschaftsmanager Scholz ist es besonders wichtig, Alternativen zum Einzelhandel zu finden. Sie sollen die frei werdenden Räume füllen. Dafür führt er Gespräche und vermittelt Fördermöglichkeiten.

Neuburg – Verkehrsoffene Zone: In der Mittelstadt Neuburg muss man ungenutzte Läden regelrecht suchen. Hier hat eine gemeinsame Aktion von Stadt, Hauseigentümern, Gewerbeverbänden und Bürgerinitiativen Erfolg. Per Umfrage wurden die Wünsche der Bürger erfragt. Und die lauten laut Stadtsprecher Bernhard Mahler: „Vielfältigkeit, Aufenthaltsqualität, Erreichbarkeit, Freundlichkeit.“ Nach drei Jahren Arbeit inklusive zahlreicher Renovierungen an den Häusern und einer neuen Verkehrspolitik ist die zentrale Einkaufszone kaum wiederzuerkennen. Mahler: „Sie ist freundlicher, offener, barrierefrei.“ Die beiden zentralen Straßen bilden einen „Mixed Space“, das heißt: Hier sind alle Arten von Verkehrsteilnehmern zugelassen. Das, so Mahler, mache „den großen Unterschied. Wir sperren niemanden aus. Das bedeutet natürlich auch, dass Autos da sind – in Schrittgeschwindigkeit. Aber natürlich auch viele Fußgänger, Sitzbereiche, Fahrradfahrer und vieles mehr.“

Ingolstadt – Eigentümer-Stammtisch und Fördermodelle: Bei der Behebung anderer Leerstände, vor allem in den sogenannten B-Lagen, war Ingolstadt dagegen erfolgreicher. Um die City zu beleben, organisiert die Stadt seit Jahren einen Eigentümer-Stammtisch, an dem Immobilien-Eigentümer auf kurzem Weg besprechen können, wo sich welche Möglichkeiten auftun.

Mit Pauline fahren wir gerne, oft und ausgiebig auf Reisen. Wir sind nicht grundsätzlich gegen Autos. Auto da wo es nötig ist – es ist ein Fortgewegungsmittel wie viele andere auch. Wir wägen ab, wo welches Verkehrsmittel am sinnvollsten ist. Wir benutzen Auto, Fahrrad, E-Roller, Bus und Bahn und wir gehen zu Fuß.