Mein Rückblick 2020

Liebe Genoss*innen, liebe Freund*innen, liebe Unterstützer*innen, liebe Bürger*innen

Es ist die Zeit der Rückblicke und der Neujahrs-Ansprachen. Auch ich will versuchen, meine persönlichen Eindrücke und Erlebnisse des vergangenen Jahres zu berichten.

Ein ungewöhnliches und turbulentes Jahr neigt sich dem Ende zu.

Vieles hat sich im Jahr 2020 geändert – wie schon lange nicht mehr. An erster Stelle ist hier natürlich Covid 19 zu nennen. Die Menschen tragen Gesichtsmasken, sie halten Abstand und geben sich keine Hände oder umarmen sich, es gibt lockdown und Ausgangssperren und viele Veranstaltungen wurden abgesagt.

Unsere Art zu Leben war plötzlich so nicht mehr möglich. Manche konnten es genießen, aber für viel brachte es Einschränkungen und existentielle Sorgen – hier sind besonders die Kulturschaffenden zu nennen. Für manche brachte es mehr „freie“ Zeit, aber für viele brachte es berufliche Belastungen ungeahnten Ausmasses – hier sind vor allem die Menschen in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen zu nennen.

Für mich persönlich kam dazu, dass ich im März in den Stadtrat gewählt wurde – genau am Schnittpunkt von „vor Corona“ und „nach Corona“.

Die Zeit vor der Wahl am 16.03.2020

So fing es an – Ende 2019!

Hier einige Kandidat*innen für dies Stadtratswahl mit unserer Bundestagsabgeordneten Susi Ferschl (ganz rechts)

Genau genommen begann das Jahr bereits im Oktober 2019. Ich entschied mich, für den Stadtrat zu kandidieren und zwar für die Partei die Linke. Das hatte mehrere Gründe:

  • an erster Stelle die vielen jungen Menschen die in Memmingen bei den Linken tätig sind, wir sind hier ein aktives Team mit vielen Ideen
  • ich finde, dass die Politik von SPD und Grünen nicht ausreicht, die großen Probleme der Gegenwart zu lösen: wir werden ohne eine Änderung unserer kapitalistischen Wirtschaftsordnung hin zu einer Gemeinwohl-Wirtschaft keine wirklichen Lösungen finden.

Im November stellten wir unser Liste für die Stadtratswahl auf. Nach langer Überlegung war ich bereit als Spitzenkandidat anzutreten. Es war ein großer Vertrauensvorschuss als ich auf Platz eins der Liste gewählt wurde.

Unser Wahlkampf war großartig – hier noch einen herzlichen Dank an alle, die mitgekämpft und uns unterstützt haben. Viel Aufmerksamkeit erregte unser Wahlkampfplakat „Hier fehlt doch was?“. Nicht nur dass bei Memmingen die zwei „e“ fehlten, unser Grafiker hat auch beim Memminger Rathaus das LINKE Türmchen entfernt (was uns allen nicht aufgefallen ist – bei „jetzt fehlt nix mehr – ist das Türmchen wieder dran – eine super Idee!).

Die Wahl und der Einzug in den Stadtrat

Unser Einsatz wurde belohnt. Mit einem Sitz zog die Linke in den Stadtrat in Memmingen ein. Dies gelang der Linken nicht nur in Memmingen, sondern auch in Kaufbeuren, in Lindau und in vielen anderen Städten und Landkreisen. Insgesamt konnten die Linken die Sitze in Bayern vervierfachen – und das wird noch nicht das Ende sein.

Was für ein Erfolg! Hier noch einmal einen herzlichen Dank an alle Wähler*innen!

Nach der Wahl war vor der ersten Sitzung. Die Amtszeit des neuen Stadtrates begann am 01.Mai.

Als „Einzelkämpfer“ hat man im Stadtrat keinen „Auftrag“. Es ging für mich darum, eine Partei zu finden, der ich mich anschliessen konnte. Es kamen die Grünen, die SPD und die ödp in Frage. Alle der genannten Parteien konnten sich vorstellen, mit mir zusammen zu arbeiten. Nach intensiven Gesprächen kam eine Fraktionsgemeinschaft mit den Bündnis 90/Die Grünen zustande.

Jetzt nach acht Monaten kann ich sagen, es war die richtige Entscheidung.

Der Start im Rat

Es wurden 17 neue Frauen und Männer in den Stadtrat gewählt, soviel Neue wie noch nie vorher.

Die 17 neuen Stadträt*innen mit OB und Abstand wegen Corona

Der Start war dann nicht einfach – aus mehrerlei Gründen:

  • wegen Corona mussten viele Sitzungen virtuell oder mit großem Abstand durchgeführt werden – persönliche Gespräche oder Kontakte kamen schwer zustande
  • für einen neuen Stadtrat gibt es am Anfang jede Menge organisatorischer Fragen zu klären: Satzung des Stadtrates, Ausschüsse, Referate usw – für „Neulinge“ nicht ganz einfach.
  • und bei uns Grün-Linken Fraktion waren von sechs Mitgliedern fünf zum ersten Mal im Stadtrat von Memmingen und vier überhaupt zum ersten mal in einem Gremium.

Aber meine/unsere Lernkurve ging ähnlich steil nach oben wie die Corona-Zahlen. Große Unterstützung war mir und allen „Neulingen“ Dieter (Buchberger), der als langjähriger Stadtrat über große Erfahrung verfügte und sein Wissen bereitwillig mit uns teilte.

Hier mein herzlicher und persönlicher Dank an Dieter (Buchberger).

Was war wichtig für mich? Ich möchte hier zwei Punkte erwähnen:

  • dass ich Mitglied im „Bau-Planungs- und Umweltausschuss“ wurde: weil das beruflich mein Thema ist und ich diesen Bereich für eine Stadt auch besonders wichtig halte
  • dass ich Referent für Integration wurde: Integration ist eine wesentliche Aufgabe, die immer wichtiger wird und uns dauernd begleiten wird. Von einer gelungenen Integration hängt ganz wesentlich das soziale Klima einer (Stadt)Gesellschaft ab.

Die ersten acht Monate

Jede Sitzung bedeutet jede Menge Entscheidungen. Ich will hier jetzt nicht alle Entscheidungen aufzählen (dazu gibt es Berichte zu den Ausschüssen und zu den Stadtratssitzungen).

Hier nur einige Anmerkungen und Eindrücke:

  • die meisten Abstimmungen sind einstimmig oder mit ganz großer Mehrheit
  • die zwei von der AFD stimmen manchmal dagegen, manchmal dafür – eine Linie ist nicht zu erkennen. Ansonsten treten sie nicht groß in Erscheinung
  • bei strittigen Entscheidungen ist die Mehrheit nicht mehr „automatisch“ gegeben: SPD und CSU haben keine Mehrheit mehr (ich glaube zum ersten Mal seit Jahrzehnten). Und CSU, CRB und FW sind auch kein so fest gefügter Block
  • die SPD stimmt oft nicht einheitlich ab. Wenn wir eine „fortschrittliche“ Politik („jenseits des vermeintlich Bewährten“ – wie ein Leserbriefschreiber in der Memminger Zeitung das ausdrückte) durchsetzen wollen, brauchen wir die SPD mit allen Stimmen. Denn mit Grün/Links, ödp und SPD sind wir 17 Stadträt*innen und brauchen dann immer noch vier zu einer Mehrheit. Jede Stimme die von der SPD abgeht macht es schwieriger. Bei der Abstimmung zum Weinmarkt stimmte die SPD geschlossen mit uns und CSU/CRB/FW stimmten nicht einheitlich ab, so dass eine Mehrheit von 21 Stadträt*innen für die Sperrung zustande kam.
  • die zukunftsweisenden Themen kommen von Grün/Links, ödp und SPD: Klimamaßnahmen, ökologischer Bauen, ÖPNV schnell ausbauen, moderne Stadtgestaltung usw.
  • Grün/Links, ödp und SPD haben eher den Plan oder zumindest Vorstellungen für eine „bessere Zukunft“ (die auch von einer Mehrheit der Bevölkerung geteilt wird), die CSU/CDU/CRB/FW spielen mehr „ihre klassische Rolle als konservative Kraft, die den Wandel verlangsamt“. (Zitate aus taz: Schwarz-Grün kommt)
  • insgesamt hat die Verwaltung einen großen (zu großen?) Einfluss. Sie bereiten Entscheidungen lange vor, wir bekommen einen Beschlussvorschlag und haben dann eine Woche Zeit (da bekommen wir die Unterlagen), uns Argumente zu überlegen.
  • Andererseits: bei wichtigen Themen gibt es vorher genügend Vorbereitungszeit und auch mehrere Sitzungen (Bad, Altstadt, Weinmarkt, ÖPNV…)
  • und bei den Fraktionssprecher – Sitzungen werden die kommenden Entscheidungen angesprochen, terminiert und in die Fraktionen getragen – auch dies ist eine neue (seit Herr Schilder OB ist) und gute Einrichtung.
  • ein wichtiges Instrument sind die Zuschüsse, die die Stadt für Maßnahmen bekommt (von Bayern, vom Bund..): dadurch werden die Kommunen „gesteuert“. Wofür es Geld gibt wird gemacht – gibt es kein Geld dafür, lässt es sich schwer durchsetzen.
  • und zum Schluss: wenn man tatsächlich entscheiden muss, d.h. den Finger hebt, ist es manchmal nicht so einfach, wie es von aussen ausschaut. Die Problemlage ist manchmal komplexer. Auch das musste ich lernen.

Mir persönlich geht es in vielen Bereichen zu langsam. Wenn man sich bewusst ist, welche Probleme wir zu lösen haben, brauchen wir schnelle und mutige Entscheidungen. Wir hier vor Ort könnten mit gutem Beispiel vorangehen. Da wir in sehr direkt in Kontakt mit den Bürger*innen stehen können wir diese „Reise“ mitnehmen.

Aber eins ist auch klar: die wichtigen und richtungsweisenden Entscheidungen werden nicht in Memmingen getroffen.

Und zum Schluss

Freund*innen fragen mich immer wieder, ob ich von der Arbeit im Stadtrat „frustriert“ bin, weil sich nichts bis nicht viel bewegt / bewegen lässt.

Bis jetzt nicht – es macht mir trotz aller Arbeit Spass und ich halte sie für notwendig.

Gute Argumente und gute Vorbereitung bewegen etwas. Da die Mehrheiten nicht mehr so sicher und eindeutig sind, haben „bessere“ Argumente eine große Bedeutung.

Daher werde ich mich im neuen Jahr 2021 weiterhin engagiert einbringen und mit guten Argumenten für eine eine offene, gerechte, soziale und solidarische Stadtgesellschaft eintreten.

Wenn wir eins von Corona gelernt haben sollten: wir können unsere Probleme nur gemeinsam lösen oder gar nicht.

Bedanken möchte ich mich bei den Stadtrats-Kolleg*innen der Grünen für die ausgezeichnete Zusammenarbeit. Ich freuen mich auf das Jahr 2021: gemeinsam werden wir viel bewegen.

Bedanken möchte ich mich bei meinen Genoss*innen bei den Linken. Auch hier ist der Zusammenhalt zwischen mir als Stadtrat und dem Vorstand ausgezeichnet. Es macht mir viel Vergnügen mit den „Jungen“ in der Partei (selbstverständlich auch mit den „jung-gebliebenen“).

Bedanken möchte ich mich bei Susi Ferschl, unserer Bundestagsabgeordnete. Sie und ihr Büro in Kaufbeuren unterstützen uns immer wenn wir Hilfe benötigen und bei jeder Veranstaltung ist sie bei uns in Memmingen.

Bedanken möchte ich mich nicht zuletzt bei meiner Frau Berti Huber und meinen Kindern. Meine Frau hält mir den Rücken frei und die Kinder zwingen mich, mich mit der heutigen Welt auseinander zu setzten und dabei „jung“ zu bleiben.

Allen möchte ich Mut zusprechen und Hoffnung zusprechen. Eine bessere Welt ist möglich und es ist noch nicht zu spät. Eines kann ich aus eigener Erfahrung sagen: jeder der sich engagiert hat ein besseres Gefühl, vor allem das Gefühl den Dingen nicht hilflos ausgeliefert zu sein.

Für 2021 Gesundheit und Zusammenhalt in dieser besonderen Zeit – wünscht Ihnen / euch

Stadtrat Rupert Reisinger