36 + 21 = 75

Quelle Memminger Zeitung vom 04.04.23, Foto: Volker Geyer

Alt-OB Christian Ude, Alt-OB Ivo Holzinger, Jung_OB Jan Rothenbacher (im Hintergrund Alt-OB Manfred Schilder).

An und für sich würden wir (wohlgemerkt: wir! Der Pluralis majestatis) nicht über einen 75. Geburtstag schreiben. Aber die Laudatio des nicht weniger ewigen (21 Jahre) OB’s von München – Christian Ude -auf dem Empfang der Stadt lohnt hier veröffentlicht zu werden.

Auch wir gratulieren hier Ivo Holzinger zu seinem 75. Geburtstag.

Besonders interessant fand ich die Einschätzung der Wallenstein-Spiele am Schluss der Laudatio. Das kann wohl nur ein Nicht-Memminger in dieser Form ansprechen.

Über die Leistungen von Ivo Holzinger zu urteilen sind andere befugter, vor allem auch alle Redner auf der Veranstaltung. Eine einzige Anmerkung sei mir erlaubt: 36 Jahre in dieser Funktion sind zu viel.

Die Laudatio von Christian Ude

Ivo Holzinger 75

Meine Damen und Herren, verehrte Festversammlung,

wenn in der bayerischen Landeshauptstadt, bei der ich etliche Jahre beschäftigt war, eine alternde Person mit einem städtischen Empfang über das immer erschreckendere Alter hinweggetröstet werden soll, werde ich auch dazu geladen mit den Worten: „Du sagst doch  was, oder?“ Wenn ich die Frage freudig bejahe, folgt nur noch der Zusatz: „Aber ned z’lang!“

Das ist irgendwie furchtbar stillos! Wie man das auch machen kann, habe ich im Vorfeld dieser Feierlichkeit erfahren. Memmingen hat Stil! Würde! Kein popeliges Millionendorf, sondern eine freie Reichsstadt mir urbaner Eleganz und repräsentativem Gestus. 

Da schrieb mir Ihr Oberbürgermeister – nicht der ewige, sondern der jetzige – doch tatsächlich:

„Wir freuen uns“ – wohlgemerkt: wir! Der Pluralis majestatis wurde wohl von den kaiserlichen Truppen zurückgelassen – „Sie als Ehrengast“ – ich dachte schon, das sind hier alle, aber er meine wirklich mich – „zu dieser Feierstunde begrüßen zu dürfen“ – zu dürfen, hat er geschrieben! Nicht mal das ist hier selbstverständlich! – „und danken für Ihre Bereitschaft“ – schon für die Bereitschaft wird hier gedankt, was folgt da wohl noch nach getaner Tat? – „als Festredner zu Ehren des Jubilars“ – Festredner! Was für ein tolles Amt! Zu Ehren des Jubilars! Was für eine Ehrerbietung, was für ein Jubel für die Banalität, dass jeder von uns jedes Jahr ein Jahr älter wird! Aber dann das jähe Ende des kaiserlichen Protokolls: „ein Grußwort zu sprechen.“ 

Das ließ mich doch ernüchtern. Ach so, bloß ein Grußwort. Das ist mir schon öfter angetragen worden. Nach all den feierlichen Worten hätte ich aber schon an eine Würdigung, eine Laudatio oder Hommage gedacht, aber nein: Bloß ein Grußwort. Grußworte habe ich schon öfter beisteuern müssen, auch bei Amtsleitergeburtstagen oder Ortsvereinen, also wirklich nichtigen Anlässen, das könnte ich notfalls in aller Schlichtheit vortragen, aber die Zahl hat mich erschreckt: EIN Grußwort darf ich aufsagen. Eines!

„Grüß Gott“ ist schon doppelt zu viel. Auch „Servus Ivo“ kommt wegen Überschreitung der Redezeit nicht in Betracht. Nur ein Wort! Das schaffe ich nicht. Das wäre vielleicht bei manchem Amtsleiter oder Ortsverein eine gute Idee mit erfrischender Wirkung gewesen, aber doch nicht beim dienst-ältesten Oberbürgermeister der Bundesrepublik Deutschland. Da sind schon ein paar Worte mehr geboten! 

Verehrte Festversammlung! Auch ein um rigorose Kürze bemühtes Grußwort muss zumindest andeuten, dass das ergraute Stadtoberhaupt nur deshalb zur Personifizierung seiner Kommune werden konnte, weil er hier geboren wurde, von Geburt an glücklich und dankbar für seinen Geburtsort war, nur hier und sonst nirgendwo auf der Welt zur Welt kommen konnte, ja, dass es von Zeugen wimmelt, dass er hier schon in den Sandkästen der Altstadt unter Beweis stellen konnte, dass seine Sandburgen die schönsten waren und sowohl von städteplanerischem Verständnis wie auch von stadtgestalterischem Können zeugten, von stadträumlicher Kompetenz gar nicht zu reden. 

So sagt man das in kommunalpolitischen Fachkreisen, aber Halt! Ivo lässt uns schon hier schmählich im Stich! Die lebende Personifizierung Memmingens kommt nicht aus Memmingen, ist hier nicht mal zur Kita oder wenigstens zur Schule gegangen. Ich spreche es unverzagt aus: Ivo kam aus der Fremde.

Um es kurz zu machen: Er wurde am 4. 4. 1948 in Aalen geboren. Das ist halb so schlimm, weil kaum jemand weiß, wo Aalen liegt. Aber es muss einmal gesagt werden: Es liegt in Baden-Württemberg. Ivo ist nicht einmal ein Bayer, jedenfalls kein geborener und kein aufgewachsener, allenfalls ein gelernter, aber das behaupten jetzt auch schon Leute aus Castrop-Rauxel oder Mecklenburg-Vorpommern. Um es irgendwie doch noch ins Positive zu wenden, feiere ich die Bürger dieser Stadt: Zeugt es nicht von großartiger Weltoffenheit, Integrationsbereitschaft und Multikulturalität, einen Sprössling eines anderen Bundeslands als einheimisches Stadtoberhaupt zu wählen und fast bis zum jüngsten Gericht hier einzubürgern? Doch, das tut es. Ein Hoch auf die Memminger, und wenn ich Memminger sage, meine ich auch die Memmingerinnen!

Wie kam Ivo nach Memmingen? Er hat bei dem Papst des bayerischen Kommunalrechts Professor Knemeyer studiert, als Regierungsrat ausgerechnet in Nürnberg, was ich ihm heute noch übelnehme, Gefallen an Bayern gefunden und im Bundesfinanzministerium in Bonn gearbeitet, als sich im Landesvorstand der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen die Frage stellte, ob vielleicht jemand in Memmingen OB werden wolle. Ivo wollte. Das war 1979. Und 1980 wurde er OB. Von Memmingen! 1980 wurde deshalb für die CSU ein traumatisches Jahr. Ivo wurde Stadtoberhaupt und blieb es 36 Jahre lang, und der CSU-Kandidat wurde nicht Kanzler, was sogar noch länger so blieb, trotz des Frühstücks von Wolfratshausen. Das Leben kann ja so gemein sein! Aber als Sozialdemokrat finde ich es sehr gerecht, dass es nicht nur mit uns so ist. 

1980 also die OB-Wahl. Ivo gewann im 1. Wahlgang mit 58 Prozent. Das war schon sensationell. Und die Wiederwahlen waren es erst recht! 5 Mal wiedergewählt! Immer im ersten Wahlgang. Zwei Mal mit extremen Prozentzahlen, die ich gar nicht zitieren möchte, weil es andere Wahlergebnisse, die auch beachtlich waren, in den Schatten stellen könnte. 

Im bayerischen Städtetag kam der Knemeyer-Schüler, der sogar schon im Nürnberger Finanzamt und im Bundesfinanzministerium gearbeitet hatte, sofort in den Rechtsausschuss, den er bald leitete. Dort bin ich ihm erstmals begegnet. Die CSU entrüstete sich darüber, dass ich ihr Abstimmungsverhalten bei einer früheren Sitzung ausgeplaudert hatte, obwohl der Städtetag für seine Sitzungen Diskretion vereinbart hatte. Der CSU-Sprecher wollte, dass Ivo die Diskretionsregel bestätige und mein Verhalten rüge. Ivo sagte Ja und rief den nächsten Tagespunkt auf, den er sofort erläuterte. Halt, halt, meinte der CSU-Sprecher nach dem etwas langatmigen Vortrag, wir wollten doch, dass Sie den Ude rügen. Da antwortete Ivo in aller ländlichen Unschuld: „Ich habe doch zu beiden Ansinnen Ja gesagt, aber jetzt sind wir schon beim nächsten Tagesordnungspunkt.“ Da wusste ich, dass ich von ihm noch viel lernen konnte.

Als ich ihn nach seinen schönsten Erfolgen befragte, antwortete er nicht mit großen Projekten, sondern – und das ist typisch für ihn – mit der Befindlichkeit seiner Bürgerschaft: „Es gab nie eine Wechselstimmung“. Das klingt zunächst einmal äußerst bescheiden, als ob seine Position nur der Nachsicht der Wählerschaft zu verdanken sei, zeugt aber schon von gesundem Selbstbewusstsein: 36 Jahre und niemals eine Wechselstimmung. Niemals irgendwo das Gefühl, jetzt sei es aber genug. Nirgendwo die Meinung, dieses oder jenes hätte man lieber anders gemacht. Oder gar, ein anderer könne es vielleicht besser. Oder auch nur Groll, weil man eine Entscheidung nicht versteht. Das ist, bei Lichte betrachtet, schon ein gewaltiger Erfolg: Da war ein wahrer Meister der Bürger am Werke, der stets das Wohl der Bürger im Auge hatte, seine Konzepte erklären konnte, Zweifelnde überzeugte, Lösungen fand und Ergebnisse lieferte, die alle überzeugten, 36 Jahre lang, einfach unvorstellbar in einer so schnelllebigen Zeit mit so viel schwankenden Moden und aufgestachelten Entrüstungen. Glückwunsch, Ivo! 

Dies alles gelang Dir ohne eigene Mehrheit im Rat, bei einer Vielstimmigkeit von 7 Fraktionen, Dank des Selbstbewusstseins, vom Volk direkt gewählt zu sein und Dank des immerwährenden Bemühens um Konsens, das sehr viel mit dem Respekt vor dem Souverän zu tun hat, aber nichts mit einem Verzicht auf Klarheit und Profil – ein Balanceakt, der täglich im Rathaus vollbracht werden will. 

Du hattest von Anfang an – wenig spektakulär, aber herausfordernd – mit Schwächen der öffentlichen Infrastruktur zu tun, wo jeder Fortschritt viel Kraft für die Planung, Durchsetzung und vor allem Finanzierung und Realisierung verlangt – sei es bei der zivilen Weiternutzung des Fliegerhorstes, der Belebung der Altstadt oder dem Ausbau des Gesundheits- und Bildungswesens oder dem kulturellen Angebot mit neuen Museen und Ausstellungsräumen und einem Landestheater mit festem Ensemble. Die Stärkung der Wirtschaft durch Betriebsansiedlungen ging ebenso voran wie die Integration der ausländischen Arbeitskräfte – Du hast den zweiten Ausländerbeirat in Bayern gegründet, nach München, so viel Zeit muss sein. 

Memmingen ist nach wie vor in bester Verfassung – das sieht man bei jedem Altstadtbummel, aber auch bei jedem Blick in Euren Haushalt – wer kann sich schon rühmen, die kreisfreie Stadt mit der geringsten Schuldenlast zu sein, obwohl im investiven Bereich nichts Wesentliches versäumt wurde. Dies alles wurde am Ende Deiner Amtszeit und bei der Verleihung der Ehrenbürgerwürde vom Nachfolger, von der Stellvertreterin, von Vizekanzler Sigmar Gabriel und von Verbandspräsidenten der kommunalen Familie detailliert und respektvoll gewürdigt. Als ehemaliger Präsident des Deutschen Städtetags möchte ich Deine Verdienste um den Städtetag auf bayerischer und auf Bundesebene hinzufügen. Du warst hier Jahrzehnte lang stilbildend tätig. Immer sachlich, immer kompetent und bestens vorbereitet, immer Mitstreitern jeglicher Couleur freundschaftlich verbunden, immer heiter, ja ein Kristallisationspunkt heiter gestimmter Runden, die weithin an ihrem Gelächter erkennbar waren. So wurdest Du einer der Repräsentanten des Klimas, das im Städtetag herrscht und zu den angenehmsten im politischen Betrieb gehört. 

Als Sozialdemokrat danke ich Dir auch für 20 Jahre an der Spitze der bayerischen Kommunalpolitiker, wo es weniger zu lachen gab. Immerhin ging es in den Rathäusern nie so schnell bergab wie im Landtag, wie zum Beispiel wo zu sehen ist? Richtig, in Memmingen. 

Lieber Kollege Rothenbacher! Mir ist ja eigentlich nur ein Wort zugedacht. Deshalb in aller Kürze: „Freundschaft!“ 

Lieber Ivo, in den Interviews zu Deinem 75. Geburtstags hast Du zu den Freuden des Ruhestands neben dem Radeln, das uns eint, auch die Geographie und vor allem die Geschichte genannt. Das ist eine weitere Gemeinsamkeit, aber ich habe offen gesagt nie verstanden, wieso ihr Memminger so stolz auf Wallenstein seid. Ihr feiert ihn so vorbehaltlos, als hätte er die Memminger Stadtwache erfunden oder wenigstens die kommunale Parküberwachung.  Aber wenn man uns im Schwabinger Gymnasium keinen Unfug erzählt hat, wer er doch Feldherr der kaiserlichen katholischen Truppen und ist der protestantischen Reichsstadt Memmingen arg auf die Pelle gerückt. Wieso feiert ihr nicht die wackeren, aber erfolglosen Verteidiger, sondern den katholischen Angreifer? Als Protestant frage ich mich da schon: wollt ihr dem Freistaat beweisen, dass ihr bayerischen Schwaben in Bayern angekommen seid? Oder hat es sich einfach bewährt, bei volkstümlichen Anlässen wie den Wallenstein-Festspielen auf den Promi-Faktor zu setzen? Oder sind die Memminger wieder einmal der Zeit voraus und betrachten den 30jährigen Krieg als Beginn der Ökumene? 

Wie auch immer: Bei diesen Festspielen hast Du immer bella figura gemacht, dass jeder deutsche Bürgermeister nur vor Neid erblassen kann. Im Gewand eines Bürgermeisters von 1630 siehst Du einfach hinreißend possierlich aus! Daneben kam ich mir ohne jedes historische Accessoire wie ein blasser Schalterbeamter der Neuzeit vor. Spätestens bei den Wallenstein-Festspielen hast Du den einzigen Makel Deiner Memminger Biographie ausgewetzt. Sie heißt jetzt: 

Ivo Holzinger. War von 1630 bis 2016, also 386 Jahre lang Oberbürgermeister von Memmingen, wo er vermutlich auch geboren wurde. 

Glückwunsch zum 75 Geburtstag! Lass Dich feiern!